Fortsetzung einer Kurzgeschichte: "Der Schatzgräber"

Veröffentlicht auf von ashleya

Da ich mit meiner Literaturklausur ziemlich zufrieden war, habe ich mich entschieden, diese auch hochzuladen. Aufgabenstellung war die Fortsetzung einer Kurzgeschichte. (Leider weiß ich nicht von wem die Originalfassung ist.) Kursiv ist der gegebene Anfang. Viel Spaß beim Lesen! ;)

Fassen wir jenes lichte Waldstück ins Auge, Birken, ein paar Erlen, üppiges Gras, feine Halme: melancholische grüne Haare; Binsen, kaum Unterholz. Dort taucht er um die Abenddämmerung auf, den Spaten geschultert. Vielleicht trägt er den Spaten auch an seiner rechten Seite, eng an sich gepresst, nicht jeder soll sehen, was er vorhat. Vornübergebeugt sucht er die Stelle, zieht seine Skizze noch einmal aus der Tasche, peilt den Schornstein der Ziegelei an, blinzelt in die sinkende Sonne, sieht sich um; er ist allein. Nun setzt er den Spaten an. Sorgfältig sticht er ein Viereck ab, teilt Grassoden, zieht sie ab wie Skalpe, legt sie beiseite, stapelt sie sorgfältig. Vor ihm ein ansehnliches Rechteck, lockerer Boden. Er nimmt einen Schluck aus der Flasche, schaut geistesabwesend auf die Armbanduhr, sein Blick, ein glänzender Blick, ruht schon wieder auf dem Rechteck Erde. Der Spaten stößt zu, die Erde fliegt, die Arbeit geht ihm rasch von der Hand. Die Wurzeln hindern ihn kaum, nichts könnte ihn aufhalten. Aus dem Rechteck ist eine Grube geworden. Er wischt sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, nimmt wieder einen Schluck, schaut auf die Uhr, ohne die Zeit wahrzunehmen. Der Spaten frisst sich tiefer, tiefer. Hart stößt er auf Widerstand, ein paar heftige Würfe, und der Mann richtet sich langsam auf, das Rückgrat streckend. Es ist soweit. Schmutziggrau liegt das Metall des Behälters vor ihm, der Spaten hat eine blanke Spur auf dem glatten Körper hinterlassen. Der Mann kann jetzt langsamer arbeiten, sich den Schweiß sorgfältiger von der Stirn wischen, Schweiß der Anstrengung, Schweiß der Erschöpfung, Schweiß, der sich gelohnt hat.

Langsam aber sicher nimmt der Behälter Gestalt an. Langsam hebt sich das Grau von der immer dunkler scheinenden Erde ab. Durch die Bäume, die Birken hier, die Erlen dort, schimmert schwach der letzte Atemzug des Tages, die letzten Strahlen, die die Sonne der Erde schenkt . Doch das bemerkt er alles überhaupt nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem metallenen Behältnis. Vorsichtig schaut er sich noch einmal um, lauscht in die relative Dunkelheit. Nichts rührt sich. "Fast schon zu still", denkt er sich. Dennoch wendet er sich wieder dem Objekt seiner Begierde zu. Voller Ehrfurcht legt er die rechte Hand langsam auf den Deckel, hält mit der linken den anderen Teil fest. Doch es gelingt ihm nicht, es zu öffnen. Seine schweißnassen Hände versagen ihm den Dienst; er rutscht ab. Er will sie am Ärmel des einst rot-weißen Holzfällerhemdes abtrocknen, doch dieses trieft selbst schon förmlich vor Schweiß. also wischt er sie an seiner Hose ab und versucht erneut, den Behälter zu öffnen. Wieder kein Erfolg. Er hat sich über die Jahre wohl einfach durch Hitze, Kälte und Frost zu sehr verformt. Es wirkt fast so, als wolle er sein lang gehütetes Geheimnis nicht preisgeben oder irgendwem zugänglich machen. Der Schornstein der Ziegelei wurde inzwischen auch schon von der Dunkelheit verschluckt und es ist schwer, die eigene Hand vor Augen zu sehen. Er legt sein Fundstück auf die Seite und beginnt, flüsternd vor sich hinfluchend, die Grube wieder zu schließen; nimmt hin und wieder einen Schluck aus der Flasche. Vorsichtig setzt er nach Beendigung seiner Arbeit das sorgfältig abgetragene Gras wieder an dessen ursprünglichen Platz. Inzwischen ist es stockdunkel. Doch er wagt es nicht, seine Taschenlampe anzumachen, hat Angst auf sich aufmerksam zu machen, Angst vor einer durchaus vermeidbaren Entdeckung. Wie viel Uhr es ist? Er weiß es nicht, kann es auch nicht von seiner Armbanduhr ablesen. "Aber das kann ich ja auch im Auto machen. Jetzt bloß nur nichts vergessen", denkt er bei sich. Dass seine Augen inzwischen mit der Dunkelheit ganz gut zurechtkommen, bemerkt er beim Zusammensuchen seiner Habseligkeiten überhaupt nicht. Er wirft einen letzten Blick in Richtung Ziegelei und macht sich auf den Weg, den Behälter auf Hüfthöhe unter den Arm geklemmt. Was wohl darin sein mochte? Nie hatte sein Vater es ihm erzählen wollen. Dabei hatte er ihn damit fast zu Tode genervt. Zu Tode? Wie makaber diese Formulierung jetzt klingt. Jetzt, da er wirklich tot ist.

Plötzlich fällt er zu Boden. Verwirrt blinzelt er in die Dunkelheit, die ihn trotz etwas Transparenz umgibt wie ein Mantel, so dick wie ein Wintermantel. Dann sieht er, was ihn hat stolpern lassen. Eine Wurzel. Unwillkürlich muss er lachen. Was er sich schon alles ausgemalt hat! Als hätte sein Bruder nichts Besseres zu tun, als ihm nachzulaufen, nur um ihn stolpern zu lassen! Dennoch fühlt er sich auf einmal unbehaglich, fühlt sich beobachtet. "Robert?", ruft er in die Dunkelheit. Doch niemand antwortet, also setzt er seinen Weg fort.

Erleichtert lässt er sich schließlich in den Fahrersitz seines metallicblauen Audi A3 fallen. Den Spaten hat er soeben im Kofferraum verstaut. Stolz blickt er neben sich auf den Grund seines abendlichen oder eher nächtlichen Schaffens. "Aber erst einmal eine schöne, warme Dusche", sagt er sich beim Blick auf das schweißgetränkte Holzfällerhemd. Er legt die Hand an den Rückspiegel, als ihm mit einem Schlag das Blut in den Adern gefriert. Er kann nicht glauben, was er sieht, dreht sich um. Noch immer fassungslos gewinnt er langsam sein Sprachvermögen wieder.
- "Robert, du? Was?.."
- "Tja, Brüderlein, da bist du sprachlos, was?", antwortet dieser eiskalt und spielt dabei mit der Waffe in den Händen, gerade so, als wäre sie ein Kinderspielzeug, nichts weiter als ein Jo-Jo oder Ähnliches.
- "Da wollte sich wohl jemand mit Vaters Erbschaft aus dem Staub machen... und das ohne mich zu informieren. Wie schade aber auch, Sam, wie schade", er dreht die Waffe noch einmal in der Hand, würdigt seinen Bruder keines Blickes, "Ich dachte, wir wären Brüder. Vom selben Fleisch und Blut. Aber wie sagte der Alte schon immer so schön? 'Mit dem Denken ist das so eine Sache.' Recht hatte er, wenn du mich fragst. Oder was meinst du dazu, Bruderherz?"
- "Ich weiß nicht, was du meinst, Robert. Und ich bin mir keinerlei Schuld bewusst."
- "Schade, Sam. Ich wollte dir eigentlich die Chance geben, das alles hier wieder gutzumachen, oder auch: zu revidieren, um es einmal wie du zu formulieren. Aber wenn mein Entgegenkommen natürlich gleich so belohnt wird..."
- "Du bist doch verrückt", antwortet er, mit einer Stimme, die nichts als Verachtung demonstriert, entschlossen.
- "Ich weiß nicht. Du bist der ältere. Bin ich das?"
Er schweigt, starrt noch immer auf die Waffe.
 "Erinnerst du dich noch an die Schatzgräber, von denen Vater uns immer erzählt hat, Sam?"
Doch er schweigt noch immer.
"Freu dich, Bruderherz, denn deine Schatzsuche endet genauso tragisch wie die ihrige. Armer Sammy..."
Er nimmt die Waffe sicher in die Hand und schießt.
Dann steigt er aus dem Auto, nimmt den metallenen Behälter vom Beifahrersitz und öffnet ihn. Er nimmt einen Brief heraus und liest diesen stumm. Kaum fertig damit wirft er diesen achtlos auf die Seite. Danach wirft er einen weiteren Blick in den Behälter und schleudert schließlich auch diesen verzweifelt beiseite.
"Ein Kartenspiel?!", schreit er in die Dunkelheit, "Ist das dein Ernst? All das für ein dämliches Kartenspiel?!"
Tränen tropfen auf den Boden. Tränen der Wut, Tränen der Enttäuschung. Sein Blick ist auf die Waffe in seiner Hand fixiert. Er lacht. Doch es ist kein Lachen der Freude.
"Sogar aus dem Jenseits wischst du mir noch eins aus. Verdammt", flüstert er. Voller Frustration wirft er einen Blick über die Schulter zum Audi und setzt dann die Waffe an seine rechte Schläfe.

Veröffentlicht in Kurzgeschichten

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